Temperaturabhängigkeit der Stimmung

Bei Wärme dehnen sich Körper aus...

Das hat man meistens noch aus dem Physikunterricht in Erinnerung: wenn man einen Körper erwärmt, dehnt er sich aus. Soweit so gut. Mit dem, was ich über die Abhängigkeit der Tonhöhe von der Rohrlänge auf der Seite Obertonreihe über die stehende Welle gesagt habe, würde das bedeuten, daß sich das Saxophon mit höheren Temperaturen verlängert und damit der erklingende Ton tiefer wird. Wer aber mal darauf geachtet hat, wie das Saxophon bei unterschiedlichen Umgebungstemperaturen gestimmt werden muß, z.B. wenn man im Winter im Freien spielt, dem wird vielleicht aufgefallen sein, daß das Umgekehrte der Fall ist: mit höheren Temperaturen klingt das Saxophon höher, nicht tiefer. Das gleiche gilt auch für andere Blasinstrumente, z.B. bei Trompeten, und man kann es auch beobachten, wenn man das Horn erst eine Weile "warmspielt": Hat man das kalte Horn exakt gestimmt, klingt das warmgespielte Instrument dagegen zu hoch.

... oder?

Natürlich möchte ich gar nicht erst versuchen zu widerlegen, daß sich auch das Saxophon bei Erwärmung ausdehnt. Der Effekt der Ausdehnung wird aber von einem anderen Effekt mehr als kompensiert. Dieser Effekt ist die Temperaturabhängigkeit der Schallgeschwindigkeit in Luft. Für die Formel zur Berechnung der Schwingungsfrequenz
f = c / (2* l ). (1)
habe ich stillschweigend vorausgesetzt, daß die Schallgeschwindigkeit c konstant ist, was sie in Wirklichkeit eben nicht ist. Die Schallgeschwindigkeit wird bei höheren Temperaturen größer. Das bedeutet, daß bei fester Länge l der schwingenden Luftsäule dann die Frequenz f des erklingenden Tons auch größer wird, und damit die wahrgenommene Tonhöhe höher.

Auch dafür gibt es natürlich wieder eine Formel, mit der sich berechnen läßt, um wieviel der Ton höher wird. Die Formel ist schon etwas vereinfacht, und zum Ausrechnen der Schallgeschwindigkeit in Luft sind bereits Zahlenwerte eingesetzt.

c = (331,6 + 0,6 T /°C ) m/s. (3)
Die Temperatur T ist dabei in °C angegeben, das Ergebnis ist in der Einheit m/s.
 
Temperaturabhängigkeit Das ganze in Tonhöhen umgerechnet ergibt die in der nebenstehenden Abbildung dargestellten Abhängigkeit der Tonhöhe von der Temperatur. Für die Grafik wurde angenommen, daß das Saxophon bei einer Lufttemperatur von 20°C richtig gestimmt ist.

Das bedeutet, wenn man bei klirrender Kälte im Freien spielt, klingt das Saxophon einen ganzen Halbton tiefer als bei brüllender Hitze im Sommer...
Was aber macht im Vergleich dazu die Verlängerung des Saxophons bei Erwärmung aus? Das will ich anhand einer kleinen Größenbetrachung abschätzen. Wie sich ein Körper ausdehnt, hängt von dem Ausdehnungskoeffizienten a des verwendeten Materials ab. Es gilt die Formel
dl = l * a * dT,
(4)

wobei l die ursprüngliche Länge des Körpers ist und dT die Temperaturänderung, das Ergebnis ist die Längenänderung dl.

Der Ausdehnungskoeffizient ist materialabhängig. Für einige Materialien ist er in der folgenden Tabelle dargestellt (nach [kuc86]).

Material Ausdehnungskoeffizient a / 1E-6/K
(im Bereich 0°C bis 100°C)
Bronze 17,5
Kupfer 16,8
Neusilber 18,0
Messing 18,0

Die Werte für Metallegierungen wie sie auch im Instrumentenbau verwendet werden, liegen also alle unter etwa 20E-6/K. Das wichtige ist hier der Faktor 1E-6, also ein Millionenstel. Im Vergleich dazu ist der Steigungsfaktor 0,6 aus der Formel (3) so groß, daß man dagegen die Ausdehnung des Materials getrost vernachlässigen kann. Die Einfluß der temperaturabhängigen Ausdehnung des Materials macht weniger als ein hunterttausendstel des Einflusses der Veränderung der Schallgeschwindigkeit in Luft aus!
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(C) 2004 Richard Schwalbach